Studenten leiden unter Corona-Maßnahmen

Ängste und Depressionen bei Studierenden
Soziale Isolation, Angst um Angehörige und ein möglicherweise verlängertes Studium: Viele Studenten leiden unter den Corona-Maßnahmen nicht nur finanziell. Besonders hart trifft es jene, die vorbelastet sind.
An den Hochschulen erfolgt der Lehrbetrieb derzeit weitgehend digital. Zentrale Aspekte in vielen Beratungsgesprächen mit Studierenden seien derzeit die geringeren sozialen Kontakte, Ängste um Angehörige und die Furcht vor einem möglicherweise verlängerten Studium, weiß der Psychologe Wilfried Schumann vom Psychologischen Beratungsservices an der Universität Oldenburg.
Er rechnet während des momentanen Teil-Lockdowns damit, dass die «psychischen Widerstandskräfte bei einer großen Zahl von Studenten überfordert sein» und mehr Studenten das Beratungsangebot wahrnehmen werden. Zusätzlich spiele von Oktober bis Januar der Lichtmangel eine zentrale Rolle, der sich auf das psychische Wohlbefinden auswirke.
Aus einem Report der Deutschen Depressionshilfe geht hervor, dass Menschen mit Depressionen allgemein stärker unter dem Lockdown im Frühling gelitten haben als die Allgemeinbevölkerung. Sie hatten zwar nicht mehr Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken, heißt es in dem «Deutschland-Barometer Depression 2020». Der Lockdown wurde jedoch deutlich belastender erlebt.
«So leiden Betroffene fast doppelt so häufig unter der fehlenden Tagesstruktur wie die Allgemeinbevölkerung», schreiben die Autoren.
Jeder zweite Betroffene habe zudem von ausgefallenen Behandlungsterminen beim Facharzt oder Psychotherapeuten während des Lockdowns berichtet.
Bei Lynn, die eigentlich anders heißt, beginnen die Depressionen mit dem Studium – noch im Uni-Normalbetrieb. Damals ist sie 18 Jahre alt und studiert Psychologie an einer bayerischen Universität. Nur einen Monat nach Studienbeginn wird sie «extrem weinerlich und traurig». Alles sei ihr zu viel gewesen. «Da war eine ganz große Überforderung da», erzählt die heute 22-Jährige.
Die Klausuren am Ende des Semesters erscheinen als nicht zu meisternde Herausforderung. Kontakt mit anderen Menschen wird für sie sehr anstrengend. Die Deutsche Depressionshilfe unterscheidet zwischen Hauptsymptomen einer Depression – verminderter Antrieb, depressive Stimmung sowie Verlust von Interesse und Freude – und Zusatzsymptomen. Dazu zählen unter anderem Schlafstörungen, verminderte Konzentration und ein vermindertes Selbstwertgefühl.
Lynn ist sich früh der Schwere ihrer Symptome bewusst und sucht sich Hilfe bei der psychologischen Beratungsstelle ihres Studentenwerks. In Deutschland haben 43 der 57 Studentenwerke eine psychologische Beratungsstelle. Das Deutsche Studentenwerk zählte für das vergangene Jahr mehr als 34.000 Studenten, die sich beraten ließen, insgesamt kam es zu mehr als 105.000 Beratungskontakten. Im Jahr 2006 waren es noch 66.000 Kontakte.
Nach Auskunft des Deutschen Studentenwerks wird seit Einführung des Bachelor- und Mastersystems ein deutlicher Anstieg der Nachfrage seines psychologischen Beratungsangebotes festgestellt. Bei ihrer Beratungsstelle erzählt Lynn von ihren Versagensängsten. Doch ihre Depressionen sind mittlerweile so stark, dass sie sich zusätzlich an ihren Hausarzt wendet.
Dieser überweist sie zu einem Psychiater, von dem sie Antidepressiva verschrieben bekommt. Mithilfe der Medikamente schreibt sie drei von sechs Klausuren im ersten Semester. Daraus schöpft sie genug Kraft, um sich nach einer längeren Therapie umzuschauen. Die Suche nach einem Therapieplatz dauert einige Zeit. Dank einer Mischung aus Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie geht es Lynn heute deutlich besser, ihren Bachelor-Abschluss hat sie erfolgreich absolviert. «Ich habe das Gefühl, zu mir selbst gefunden zu haben», sagt die Studentin.
In Verhaltensübungen lernt sie zum Beispiel, sich ihrer Gedanken bewusst zu werden und sie so zu ordnen. Tiefenpsychologische Ansätze versuchen unter anderem Erlebnisse aus der Vergangenheit, oft aus der Kindheit, aufzuarbeiten. Die Deutsche Depressionshilfe sieht neben traumatischen Erlebnissen die genetische Vererbung als Hauptursache für Depressionen, auch in Lynns Familie sind mehrere Mitglieder betroffen.
Die 22-Jährige erlebt den momentanen Teil-Lockdown mit «gemischten Gefühlen». In der ersten Phase im März schreibt sie ihre Bachelor-Arbeit. Solche großen Herausforderungen, besonders unter den Umständen, können Lynn in ihrem Prozess zurückwerfen. Dann sei sie besonders froh, auf Hilfe zurückgreifen zu können. Während der bisherigen Online-Vorlesungen fehle ihr vor allem der Kontakt mit anderen Studierenden.
Wenn sie heute über ihre psychische Erkrankung spricht, ist Lynn sehr offen. Das war aber nicht immer so. «Der Anfang war mit Scham verbunden, gerade weil ich ja selbst Psychologie studiere», sagt die Studentin. Sie habe zudem anfänglich Angst gehabt, einer anderen Person den Therapieplatz wegzunehmen.
Diese Ängste sind nicht ungewöhnlich, weiß der Psychiater und Vorsitzende der Deutschen Depressionshilfe Ulrich Hegerl, besonders während Corona nicht: «Viele haben das Gefühl, jetzt nicht zum Arzt gehen oder sich Hilfe suchen zu dürfen.» Dabei können viele Beratungsangebote, auch der Studentenwerke, zeitweise online oder telefonisch stattfinden. Weil die 22-Jährige die Zweifel am Anfang kennt, rät sie Betroffenen, «sich anderen mitzuteilen und nicht zu zögern, sich Hilfe zu suchen». Nicht trotz, sondern besonders in Zeiten von Corona.
Würzburg (dpa/tmn)
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