Auf der Flucht vor dem Krieg: Psychosoziale Hilfe für Geflüchtete in Schleswig-Holstein

20. April 2022
Der Krieg in der Ukraine geht uns alles an. (Foto: Adobe Stock)

Auf der Flucht vor dem Krieg

Aus der Ukraine kommen vor allem Frauen und Kinder als Kriegsflüchtlinge zu uns. Viele von ihnen sind durch Krieg und Flucht traumatisiert. Beim Psychosozialen Zentrum in Kiel finden sie eine erste Anlaufstelle, wo sie Hilfe für ihre psychischen Belastungen finden und Erlebtes anfangen können, zu verarbeiten.

Wie lange arbeitet das Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge in SH schon?

Das PSZ gibt es schon seit langem: Bis 2017 die Brücke SH die Trägerschaft übernahm, war das PSZ in seiner Funktion und seinem Aufgabenspektrum anders ausgerichtet. Heute ist es eine Beratungsstelle mit dem Fokus auf psychischer Gesundheit für Menschen mit Flucht- und Gewalterfahrung.

Wieviel Mitarbeiter:innen gibt es und wie ist Ihre Ausbildung?

Aktuell sind 4 Mitarbeiterinnen im PSZ beschäftigt: eine Psychologin aus dem Iran in Weiterbildung zur Psychoanalytikerin, eine Psychologin aus der Ukraine in Weiterbildung zur systemischen Therapeutin, eine Diplom-Pädagogin mit der Zusatzweiterbildung als Therapeutin für Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz und eine Sozialarbeiterin in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein |
Rendsburger Landstraße 7 / 24113 Kiel |
psz@bruecke-sh.de
Tel. 0431 705594-91/-92/-93

Der Krieg geht uns alle an. Und Krieg gibt es schon immer auf dieser Welt. Der Krieg in der Ukraine ist ein Krieg in Europa, deshalb ist er uns so nah – im wahrsten Sinne. Amelie von Eye, Mahshid Tirgar und Olga Pavlovych vom Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein (PSZ) unter der Trägerschaft der Brücke SH in Kiel beraten Menschen mit Flucht- und Gewalterfahrung mit dem Fokus auf psychische Gesundheit schon seit Jahren. Erst jetzt wird für uns sichtbarer, wie wichtig ihre Arbeit ist – und schon immer war.

WITC: Flüchtlingen psychosoziale Hilfe zu geben, bedeutet in erster Linie …

… einen Ort zu schaffen, an dem die Flüchtlinge unabhängig von ihrer Herkunft, Sexualität, Religion, fehlenden Sprachkenntnissen und ihrem Asylstatus aufgenommen und akzeptiert werden. Wir bieten ihnen bedarfsorientierte Stabilisierung und eine lebensweltorientierte Vermittlung in regionale Hilfesysteme.

Betreuen Sie aktuell ukrainische Flüchtlinge?

Ja, das tun wir. Erste Anfragen erreichen uns in der Regel über die Landesunterkünfte, erste telefonische und persönliche Gespräche haben bereits stattgefunden. Kontaktwege zu uns werden über die landesweiten Netzwerke verbreitet oder zum Beispiel über Sprachmittler:innen. Auch über unsere ukrainische Kollegin Olga Pavlovych erreichen uns Anfragen. Gleichzeitig verbreiten wir unser Hilfe- und Informationsangebot auch vor Ort in Gemeinschaftsunterkünften.

Wie funktionert das mit dem Dolmetschen?

Das PSZ arbeitet seit langer Zeit mit speziell für Therapie- und Beratungsgespräche geschulten Sprachmittler:innen und ebenso geschulten und erfahrenen Berater:innen und Therapeut:innen nach dem Konzept: Beratung und Therapie zu dritt. Die Therapeut:in/Berater:in führt das Gespräch und leitet die therapeutischen Interventionsschritte, der Sprachmittler:in kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: Sie muss nicht nur übersetzen, sondern auch als Vermittlerin zwischen den Kulturen fungieren. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Therapeut:in und Sprachmittler:in und eine strikt professionelle differenzierte Rollengestaltung bilden von daher das Rückgrat der Therapie und Beratung.

Was macht aus Ihrer Sicht die aktuelle Betreuung besonders herausfordernd und unterscheidet sich ggf. zu anderen Flüchtlingen? Wie stark ist die Traumatisierung der Flüchtlinge aus der Ukraine?

Aus der Erfahrung mit anderen Kriegsgeflüchteten können wir davon ausgehen, dass es voraussichtlich eine hohe Traumatisierungsrate gibt. Traumafolgestörungen entstehen zeitversetzt, so dass die aktuelle Anfragefrequenz noch nicht aussagekräftig ist. Derzeit stehen für die Geflüchteten andere Fragestellungen der Neuorientierung in einem fremden Land im Vordergrund.
Der Unterschied zu anderen Kriegsgeflüchteten besteht bei den ukrainischen Flüchtlingen darin, dass überwiegend Frauen und Kinder ankommen, die sich nun in einer anderen Rolle wiederfinden und deshalb auch sehr viel Trauerarbeit im Vordergrund steht.
Hinzu kommt jetzt aber auch noch eine Retraumatisierung bei Kriegsgeflüchteten aus anderen Ländern, die die aktuellen Nachrichten und Ereignisse verfolgen.

Wo setzt Ihre Hilfe an?

Unsere tatsächliche Hilfe besteht in einem möglichst niedrigschwelligen Gesprächsangebot, in Stabilisierungsarbeit, Entlastungsgesprächen, Kriseninterventionen und ggf. in der Weitervermittlung.

Wie gehen Sie mit der hohen Zahl der Nachfragen um?

Zum einen versuchen wir Wartelisten zu vermeiden, bisher war es möglich Termine innerhalb von 2 bis 4 Wochen für Erstgespräche anzubieten. Es ist sehr wichtig, so früh wie möglich ein Hilfeangebot an die Flüchtlinge zu machen.
Aufgrund des noch immer hohen Bedarfs von Geflüchteten nach Therapieplätzen, nimmt die Zahl derer, die darauf warten müssen, mit den Neuankömmlingen stetig zu. Das belastet unsere Arbeit, da wir keine langfristige Therapie anbieten können, die so dringend benötigt wird. Auf der anderen Seite werden viele Geflüchtete, die lange schon auf eine Bewilligung ihres Asyls warten, nun zusätzlich belastet oder sogar weiter traumatisiert, da nun aufgrund der räumlichen Not alle sprichwörtlich enger zusammenrücken müssen.
Um weiterhin die Arbeit effizient bewältigen zu können, brauchen wir mehr Geld, um mehr Personal einstellen zu können.

Was brauchen die Geflüchteten am nötigsten, wenn Sie mit Ihnen in Kontakt treten?

Begleitung auf dem Weg zur Entlastung durch ein offenes Ohr und einen Ort der Sicherheit vermittelt.

Wie bewältigen Sie Ihre Arbeit und was ist die größte Herausforderung für Sie?

Ein gutes Teamgefühl, kollegiale Entlastungsgespräche und eine regelmäßige Supervision sind sehr wichtig. Gemeinsam suchen wir nach passenden Hilfsangeboten.
Unsere größte Herausforderung ist u.a. die fehlende Sicherheit aufgrund fehlender dauerhafter Finanzierung. Denn das PSZ hat nur einen Projektstatus. Hinzu kommt auf der anderen Seite, dass die gesundheitliche Regelversorgung für die Geflüchteten nicht gut genug auf ihre Bedürfnisse ausgelegt ist, so dass einige Klient:innen bis dato nicht vermittelbar sind.

Wie können andere Menschen Ihr Team unterstützen?

Wir freuen uns über Unterstützung für unsere Arbeit in Form von Spenden, ehrenamtlicher Hilfe, sowie das Hinaustragen unseres Wunsches nach mehr Offenheit und Interesse für die Arbeit zu Dritt (Berater:in/Therapeut:in – Klient:in – Sprachmittler:in)

Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein |
Rendsburger Landstraße 7 / 24113 Kiel |
psz@bruecke-sh.de
Tel. 0431 705594-91/-92/-93

Neueste Artikel