Von roten Käfern, Freundschaften und einer Design-Ikone

11. November 2024

Vom samtroten Sonderkäfer zur Erfinderin des Golfball-Schaltknaufs

Jeanette Nentwig ist Autorin und Journalistin und lebt seit zwei Jahren in Wahlstorf im Kreis Plön. Eigentlich zufällig lernte sie Gunhild Liljequist kennen, die früher Designerin bei VW war. Über sie hat Jeanette Nentwig ein Buch geschrieben, „Design-Ikone“. Ein Herzensprojekt über eine faszinierende Frau und Erfinderin des Golfball-Schaltknaufs.

WITC: Du bist vor zwei Jahren von Hamburg in ein kleines Dorf im Kreis Plön gezogen. Was hat sich in deinem Leben verändert?
Jeanette Nentwig: Wir genießen es, mitten in dieser zauberhaften Landschaft und umgeben von wunderbarer Natur zu leben. Diese Stille! Dieser unendlich große Himmel! Diese Weite! So viel Schönheit! Ich habe Hamburg seit unserem Umzug kein einziges Mal vermisst.

WITC: Dein neues Projekt ist ein Buch über Gunhild Liljequist. Ein wunderbarer Name und eine gewaltige Lebensgeschichte. Erzähl doch mal, wie bist du auf sie aufmerksam geworden und was hat es mit dem roten VW-Käfer mit blauen Blümchen auf sich?
Jeanette Nentwig: Vor fünf Jahren habe ich mir einen Lebenstraum erfüllt und einen alten VW Käfer gekauft. Ein Spontan-Kauf: Ich war schockverliebt in sein herrliches Rot und die niedlichen blauen Blümchen an den Seiten. Erst nach dem Kauf habe ich recherchiert, was für ein Sondermodell das eigentlich ist. Kurz darauf fand ein Treffen dieser „Samtroten Sonderkäfer“ in Einbeck statt. Auf diesem Treffen habe ich Gunhild Liljequist persönlich kennengelernt: Sie war Ehrengast der Veranstaltung, da sie „unser“ Sondermodell 1984 als Designerin bei VW, Abteilung „Farben und Stoffe“, entworfen hat. Wir wurden Freundinnen. Und aus dieser Freundschaft ist mein Buchprojekt über ihr Leben entstanden.

WITC: Was hast Du beim Schreiben des Buches von ihr gelernt?
Jeanette Nentwig: In unseren Gesprächen ging es viel um ihre große private Leidenschaft: die Malerei. Sie war unter ihrem Mädchennamen Terzenbach zu ihrer Zeit sehr erfolgreich im Genre der sogenannten „Naiven Malerei“, hatte Ausstellungen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Italien. Leider habe ich keine Ahnung von Bildender Kunst. Deswegen hatte ich dazu besonders viele Fragen: Was bedeutet dir die Malerei? Was geht beim Malen in dir vor? Wie kommst du auf deine Motive? Welche Farben liebst du besonders? Woher weißt du, wann dein Bild fertig ist? Wir haben die künstlerisch-kreativen Prozesse, die sie beim Malen erlebt, mit denen verglichen, die ich vom Schreiben her kenne. Das war für uns beide unglaublich interessant und sehr inspirierend!

WITC: Gunhild Liljequist ist während der Zeit, als Du an ihrer Lebensgeschichte geschrieben hast, gestorben. Was hat das für Dich bedeutet?
Jeanette Nentwig: Die erste Fassung des Buches hat sie zum Glück noch kennengelernt und auch autorisiert. So war der Grundstein für das Buch gelegt. Nach ihrem Tod habe ich das Manuskript in die Hand genommen und mich auf die Suche nach einem Verlag gemacht. Zu meiner völligen Verblüffung konnte ich gleich beim ersten Versuch Thomas Glaw vom Mediathoughts Verlag in München von meinem Projekt überzeugen. Er riet mir, den Text in einen biografischen Roman umzuarbeiten. Während dieses Umschreibens zu einem erzählenden Sachbuch hatte ich immer das Gefühl, dass Gunhild neben mir sitzt und mir beim Tippen mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen über die Schulter schaut. Das hat mich motiviert und mir Kraft gegeben.

WITC: Du hast Gunhild Liljequist auch als „starke Frau“ in einem Interview beschrieben. Niemand würde so einen Mann beschreiben. Was meinst Du, warum geht uns das immer noch so über die Lippen?
Jeanette Nentwig: Tatsächlich musste sich Gunhild Liljequist sicherlich in einer Männerwelt als VW-Designerin in den 1960- bis 1990er-Jahren durchsetzen … und zudem beschreibst du sie auch als eine „bescheidene Frau“.
In der Tat ist eine differenzierte Betrachtung von Sprache wichtig und richtig. Gunhilds Leistungen beeindrucken und sprechen für sich – unabhängig von ihrem Geschlecht. Aktuell lese ich gerade das Buch „Beklaute Frauen“ von Leonie Schöler und mir stehen die Haare zu Berge, wie viele Frauen in der Vergangenheit Großes vollbrachten – aber Männer die Ehre dafür einheimsten. Und die Geschichte wiederholt sich leider: Trotz meines Hinweises an VW, dass auf der Homepage des Unternehmens fälschlicherweise ein Mann als Erfinder des Golfball-Schaltknaufs im ersten Golf GTI genannt wird, wurde dies bis heute nicht korrigiert und Gunhild nach wie vor nicht als Erfinderin dieser ikonischen Design-Idee gewürdigt. „Ach, lass doch. Das ist mir gar nicht wichtig“, wäre sicherlich Gunhilds Antwort darauf – eben weil sie so bescheiden war. Als ihre Freundin, die ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben hat, ist es mir aber wichtig: Das Buch ist mein Beitrag, um Gunhild vor dem Vergessen-Werden zu bewahren und ihre Leistungen zu würdigen.

WITC: Als erstes Projekt in Wahlstorf hast du in einer „Edition Profile Plön“ Portraits von Menschen aus dem Kreis Plön zusammengetragen. Erzähl doch mal, welche Begegnungen waren das?
Jeanette Nentwig: Ziel bei diesem Buchprojekt war es, mich über die Recherchen zu diesen 84 Porträts in meiner neuen Heimat zu verankern. Denn am Anfang kannte ich hier nix und niemanden. So habe ich gnadenlos subjektiv nach Menschen Ausschau gehalten, die mich – aus welchen Gründen auch immer – faszinierten. So entstand ein buntes Kaleidoskop von Porträts: von Birgit Müller, der mutigen und innovativen Inhaberin der Tischlerei „Mare“ in Preetz, über Anne-Marie Muhs, die das großartige Konzept von Kindergärten auf Bauernhöfen entwickelt hat und inzwischen deutschlandweit umsetzt („Kita Natura“), bis zu Irmgard und Peter Zantopp, die hier in Kiel gemeinsam die „Nordische Eis-Manufaktur“ gegründet und aufgebaut haben.

WITC: Was magst Du an Begegnungen mit Menschen, über die Du dann schreibst?
Jeanette Nentwig: Ich liebe es, für einen kurzen Augenblick in das Leben anderer Menschen einzutauchen: ihre Erfahrungen und Lebenswege, ihre individuellen Sichtweisen, ihre Träume kennenzulernen. Ich empfinde es als Geschenk, wenn Menschen mir vertrauensvoll ihre Türen und ihr Herzen öffnen. Das bereichert mein eigenes Leben um so viele neue Perspektiven.

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