"Mit 60 will ich einen Klimmzug können!"
Wir treffen Simone Menne in ihrer Kieler Galerie und Zuhause in der Kieler Altstadt und reden über die Arbeit einer Aufsichtsrätin, über Träume, Frauenquote, Klimmzüge, über Männer und ihr Leben.
Simone Menne steht hinter dem Tresen ihrer Kieler Galerie in der Altstadt. Das beruhigende oder je nach dem aufregende Klingen des Klangboden-Pendels, das über die Steine schwingt und spontan neue „Sinfonien“ kreiert, begleitet unsere Begrüßung.
Unprätentiös – wäre die passende Beschreibung des ersten Eindrucks von Simone Menne. Immerhin habe ich vor der Vita dieser Frau Respekt: Sie ist eine der wenigen Topmanagerinnen der Deutschen Wirtschaft, ehemalige Finanzchefin der Lufthansa und heutige Aufsichtsrätin in Unternehmen wie BMW und Deutsche Post. Nette Begrüßung, netter Augenkontakt, sympathisch. Wir bleiben nicht in der Galerie, sondern gehen zwei Stockwerke hoch in ihre Wohnung. Unser Einstiegs-Smalltalk bleibt sofort an dem langen, sehr schmalen Tisch im Wohnzimmer hängen. Ein Tisch, der nicht trennt, den Simone Menne in Afrika hat anfertigen lassen, damals als sie für die Lufthansa in Lagos tätig war. Und damit sind wir schon mitten in einem Gespräch, in dem mich die Klarheit der 59-jährigen fasziniert. Kein Schnickschnack, keine Affektiertheit, dafür Klarheit in ihrer Haltung, klare Worte und trotzdem viel Wärme – inmitten aller Wirtschaftlichkeit.
Woman in the city: Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt und was fällt Ihnen in diesem Zusammenhang zum Thema Besinnung ein?
SIMONE MENNE: Für mich war diese Zeit eine Zeit der Entschleunigung. Ich bin nicht gereist, hatte einen Rhythmus und bin jeden Tag im selben Bett aufgewacht. Und da konnte ich mich im wahrsten Sinne des Wortes besinnen und auch feststellen, was das Wesentliche ist.
Was ist eigentlich Ihr Job, Frau Menne?
Ich bin selbstständig tätig als Aufsichtsrätin – bei BMW, bei der Deutschen Post, bei Johnson Controls International und bei Russell Reynolds, einer Personalberatung, wie Johnson, auch ein amerikanisches Unternehmen.
Was macht eine Aufsichtsrätin?
Der Aufsichtsrat ist ein Aufsichtsgremium für den Vorstand. Es gibt in der Regel vier Sitzungen im Jahr und dann gibt es noch Ausschüsse. Da ich früher Finanzvorstand war, sitze ich im Finanzausschuss. Dort guckt man sich dann die Quartalsberichte an, führt Gespräche mit den Wirtschaftsprüfern usw. Das heißt, man hat mindestens acht Sitzungen im Jahr. Dann haben wir üblicherweise auch noch eine Strategietagung, die üblicherweise 2 Tage dauert. Aber wir müssen natürlich jede Sitzung vorbereiten, viele hundert Seiten Berichte, die man durcharbeiten muss. Und es ist die Verantwortung jedes Aufsichtsrates, sich auch weiterzubilden. Ich muss mich immer wieder in neue Themen einarbeiten.
Ich bin nicht Angestellte eines Unternehmens, sondern stelle meine Arbeit den Unternehmen in Rechnung. Da gibt es festgesetzte Tantiemen für die Aufsichtsräte.
Wie vielen Frauen begegnen Sie in Ihrem Job?
Bei den Aufsichtsräten gibt es zumindest für große Firmen eine gesetzliche Regelung, 30 % ist die Minimumquote für Frauen. Interessant ist, dass in Deutschland keiner darüber hinausgeht – bis auf SAP, die im Übrigen auch sonst beim Thema Diversität positiv auffallen (bis sie Jennifer Morgan als erste weibliche CEO in der Krise entlassen haben).
Als ich Ihre Vita las, hatte ich den Eindruck, dass Sie nach Ausbildung und Studium plötzlich Finanzchefin bei der Lufthansa waren?
(Simone Menne lacht herzlich) … ja, nach 27 Jahren!
Haben Sie schon immer gedacht, da oben will ich mal hin?
Das hat sich wirklich entwickelt. Ich habe ja eine Lehre beim Steuerberater gemacht und dann BWL in Kiel studiert. Meine Vorstellung damals war, Steuerberatung kann man ganz prima mit Familie vereinbaren. Ich habe bei einem Steuerberater gelernt, der das vorgelebt hat. Dann habe ich studiert und ehrlich gesagt, hat es dann mit der Familienplanung nicht geklappt.
Nach dem Studium habe ich gedacht, ich muss jetzt mal raus hier. Andere Stadt, interessante Unternehmen, einfach was Größeres. Ich habe dann in Frankfurt bei einem amerikanischen Unternehmen angefangen und mich nach drei Jahren bei der Lufthansa beworben. Aber eigentlich habe ich immer gedacht, dass man nur über Beziehungen dort eine Stelle bekommt. Die hatte ich nicht.
Hatten Sie denn nur Einser-Zeugnisse?
Nein! Ich war immer schlecht in der Schule. Ich hatte ein Diplom von 3,2 und ein Abi von 2,8. Also in der Hinsicht bin ich der Schrecken aller Eltern, weil ich immer sage: Noten sind nicht so wichtig. Ich wusste aber auch immer, wenn ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werde, dann nehmen die mich auch. Ich glaube, ich bin gut in Kommunikation, ich bin recht selbstbewusst und kann mich gut verkaufen.
Das heißt auch, Sie wussten immer: Das kann ich!
Ja! Ich bin schrecklich … selbstbewusst. Ich war das erste Kind in der gesamten Familie, das erste Enkelkind, die erste Nichte für alle Tanten und Onkel und das erste und einzige Kind meiner Eltern. Und dann haben alle gedacht, ich bin ein Wunderkind. Egal, was ich getan habe. Ob ich ein Gedicht zu Weihnachten aufgesagt habe oder auf der Geige was vorgekratzt habe – alle fanden es toll. Ich habe also Selbstbewusstsein hoch Drei mitbekommen.
Nach drei Jahren Lufthansa ging es ins Ausland …
Ja, ich wollte ich gerne ins Ausland. Und dann hat man mir Lagos angeboten. Natürlich bekommen Sie am Anfang der Karriere nicht die tollsten Hauptstädte angeboten. Nach Lagos gehen entweder die, die mit der Karriere fertig sind, oder Geschiedene, die dringend das Geld brauchen oder ganz Junge eben. Ich war recht jung, 33.
Und es war eine hochspannende Zeit drei Jahre lang.
Dann kam wieder Deutschland und dann doch die großen Städte wie Paris und London. Blieb Familie und Liebe dabei auf der Strecke?
Als ich nach Lagos ging, hatte ich einen Italiener als Freund – der ist nicht mitgekommen, und dann bin ich alle drei Jahre umgezogen. Aber letztlich: Es hat sich einfach nicht mehr ergeben. Ich habe auch nie DEN MANN meines Lebens getroffen, wo ich gesagt hätte: Der wird es jetzt. Ich bin auch nie schwanger geworden. Aber ja, wenn man als Frau Expatriate (internationale Führungskraft) ist, dann ist das schon so eine Sache mit der Familienplanung. Das ist auch heute noch so.
2012 sind Sie dann mit 52 Jahren erster weiblicher Finanzvorstand im DAX gewesen …
Genau. Dann war ich plötzlich Finanzvorstand im DAX. Mein Vertrag wurde auch verlängert, so dass ich bis Ende 2020 eigentlich einen Vertrag bei Lufthansa hatte. Aber irgendwie hatte ich eine midlife crisis und wollte noch mal in einem ganz anderen Unternehmen arbeiten. Ich war dann in einem familiengeführten Pharmaunternehmen Finanzvorstand. Aber es funktionierte nicht so wie gedacht, so dass ich dann mit 58 Jahren plötzlich nicht mehr operativ tätig war. Denn noch mal denselben Job wollte ich einfach nicht machen. Allerdings hatte ich damals schon zwei Aufsichtsratsmandate, bei BMW und bei der Post und habe weitere zwei Mandate dazu genommen.
Ja, und dann hatte ich eben auch noch die Schnappsidee, eine Galerie zu eröffnen …
Aber das ist ja nun mal was ganz anderes!
Ja, und ich finde das super spannend. Wenn man mich früher gefragt hat, was würdest Du gerne machen, um auf jeden Fall erfolgreich zu sein, dann hätte ich gesagt: Kinderbuchillustratorin. Ich hab immer gerne gemalt und gezeichnet. Das ist wirklich eine tolle Aufgabe. Bevor ich damals beim Steuerberater gelernt habe, hatte ich die Idee, ich möchte Goldschmiedin oder Fotografin werden. Mein Vater sagte: Lerne was Vernünftiges. Deshalb habe ich Steuerberaterin gemacht.
Dann haben Sie sich ja schon irgendwie einen Traum erfüllt, oder?
Die Aufgabe einer Galeristin ist es ja, die Kunst, die man selber gut findet, für den Künstler zu verkaufen. So kann ich mein wirtschaftliches Verständnis für die Künstler einsetzen. Und das finde ich schön. Gleichzeitig gefällt mir die Vieldeutigkeit, die man auch im Geschäftsleben oder auch als Gesellschaft braucht – diese Vieldeutigkeit suche und finde ich bei den Künstlern, die ich ausstelle, wieder.
Menschen wollen mehr und mehr alles eindeutig haben – auch Vorstände wollen am liebsten eine Entscheidung, die 120 Prozent sicher ist. Und die gibt es nicht.
Was versuchen Sie noch in Ihrer Galerie zu realisieren?
Ich stelle mir auch die Frage: Was kann Kunst in einem Unternehmen bewirken? Vielleicht würde es auch für große Unternehmen Sinn machen, einen Künstler in Residenz zu haben. Der Künstler wird ein Jahr gesponsert, er macht aber auch mit den Mitarbeitern Kreativkurse, die wiederum innovatives Denken fördern kann. Eben nicht nur Powerpoint oder von Beratern vermittelte Techniken, sondern auch das Spielerische üben. Wir haben alle verlernt, zu malen, zu singen oder zu modellieren, weil wir denken: Oh, darin bin ich aber nicht gut. Die meisten Menschen sagen, ich kann nicht malen. Das führt dazu, dass die Menschen sich gar nichts zutrauen, vielleicht nicht mehr neugierig sind, aber eben auch nicht mehr innovativ sind. Auf der anderen Seite ist es gerade das, was wir massiv in deutschen Unternehmen fördern wollen und brauchen: Innovation und freies Denken und nicht die Angst vor Veränderung.
Es geht um Veränderung?
Ja, darum geht es. Wir brauchen Freiräume, Spielräume, eine andere Offenheit. Auch für einen Aufsichtsrat oder eine Aufsichtsrätin ist es sehr schwer festzustellen, welche Kultur ein Unternehmen überhaupt hat.
Wen sehen Sie denn da am Horizont als Initiator der Veränderung? Ist das die Aufgabe der jungen Generation oder sind es noch mehr Frauen in Führungsjobs?
Es sind vor allem Firmen mit einem guten Mix. Nur jung – ist auch nicht gut. Ein Mix aus alt und jung, wir müssen Menschen mit Migrationshintergrund integrieren und natürlich ein Gender-Mix.
Frauenqote: ja oder nein?
Also, wie viele junge Frauen war ich früher gegen die Frauenquote und bin jetzt dafür. Weil man einfach sieht, dass es sonst nichts wird. Lebenserfahrung hilft da. In Deutschland ist es eine schwierige Gemengelage: zum einen haben wir ein sehr rückständiges Gesellschaftsbild, wir sind eine der wenigen Gesellschaften, in denen Frauen ein schlechtes Gewissen eingeredet wird. Frauen versuchen immer noch, ein perfektes Bild abzugeben. Das heißt, Schultüte basteln, Elternbeirat, Familienfeiern ausrichten und gleichzeitigKarriere machen. Auf der anderen Seite sind die Männer oft noch nach dem klassischen Männerbild sozialisiert.
UND: Wir haben Paragraphen, die dieses Verhalten fördern! Versorgungsanspruch und Ehegattensplittung sind zwei Beispiele. Es gibt genau, wie in den Aufsichtsräten, auch in der Politik alte oder auch junge Männer, die einfach nicht wollen, dass da mehr Frauen sind. Das glaube ich wirklich.
Wovon träumen Sie noch?
Also momentan ist es schon die Galerie. Für mich ist es wichtig, nicht behaglich zu werden. Ich möchte gerne die weise, witzige Alte werden, die noch gefragt wird. Und dafür muss ich fit bleiben – körperlich und geistig. Dazu muss ich mich fordern, selbst wenn ich dazu keine Lust habe. Ich sehe bei Menschen, die bequem werden, dass es am Ende furchtbar langweilig wird.
Also nicht zur Ruhe setzen?
Nein, auf eine gute Art alt werden!
Das könnte man auch im Garten …
Ja, aber wenn man nur Garten macht, dann lässt man nach im Argumentieren, im Analytischen! Man muss sich zwingen, auch immer neue Technologien zu lernen – der Fortschritt ist so schnell. Wenn ich 80 bin, dann wird es was ganz anderes geben als heute. Emails sind jetzt schon altmodisch. Körperliche Fitness gehört natürlich dazu, weil das Körperliche das Geistige beeinflusst. Ich habe einen großen, ehrgeizigen Plan: Mit 60 einen Klimmzug zu machen!
Das war‚s?
(überlegt.) Ich glaube, ich muss mir noch mal Gedanken machen, wovon ich träume. (denkt nach) Vielleicht träume ich ja ein bisschen davon, wieder zwei Hunde zu haben, wie in Lagos. Basenjis, afrikanische Buschhunde. Die bellen nicht. Das sind Primitivhunde. Aber sie sind toll.
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