Ernährung ist Medizin
„Es gibt im Leben dicke und dünne Phasen“ sagt Ernährungsexpertin, Diätassistentin und Heilpraktikerin Alste Janßen aus Heikendorf. In WOMAN IN THE CITY gibt sie regelmäßig Ernährungstipps und stellt gesunde Rezepte vor. Wir wollten es gerne einmal genauer von ihr persönlich wissen: Wie finden wir Orientierung im Dschungel der Ernährungstipps?
WOMAN IN THE CITY: Gesunde Ernährung ist ein wesentliches Thema unserer Zeit – fehlt uns vor dem Hintergrund des Schlankheitswahns die Leichtigkeit dabei?
Alste Janßen: Es fehlt die Leichtigkeit im Umgang mit sich selbst und dem Wissen um eine gesunde Ernährung. Das ist ein vielschichtiges Thema. Schlanken Menschen werden eher positive Assoziationen wie Attraktivität, Erfolg und soziale Kompetenz zugesprochen als weniger schlanken Menschen. Daher ist der Druck gerade bei jungen Menschen schon sehr hoch. Es gibt im Leben dicke und dünne Phasen, jedoch sollte man sich nicht auf seine „schweren Knochen“ als Ausrede für echtes Übergewicht ausruhen. Wir Deutsche werden immer dicker. Übergewicht, Adipositas und deren metabolische Folgen wie Diabetes, Herzinfarkt, Gicht usw. nehmen jährlich zu. Durch Bewegungsmangel, Auto- statt Fahrradfahren und ein leichter Zugang zu ungesunden Snacks gestalten wir unsere Umwelt adipogenen (der Adipositas zuträglich).
Gleichzeitig fehlt Struktur im Essalltag. Gemeinsame Mahlzeiten, Rituale am Tag oder jahreszeitliche Höhepunkte werden vom Alltag, Zeitmangel und durch Fertignahrung ersetzt. Der Bezug zu einfachen Grundnahrungsmitteln geht verloren. Diese Orientierungslosigkeit wird noch verstärkt durch selbsternannte Ernährungs-Gurus, die durch einseitige Weisheiten weiter verunsichern. Dabei ist eine gesunde Ernährung wirklich leicht umsetzbar.
Wie kannst Du uns bei einer gesunden Ernährung unterstützen?
Alste Janßen: Was ich in den Beratungen und Kursen immer wieder beobachte, ist das Erstaunen, wie einfach eine gesunde Ernährung gelingen kann. Es gibt nicht DIE gesunde Ernährung oder DEN einzigen Weg für eine Gewichtsabnahme. Ich unterstütze die Menschen darin, Ihre eigenen Ressourcen wieder zu aktivieren und die Motivation zu erkennen, um die es ihnen wirklich geht. Eine Ernährungsumstellung sollte ohne radikale Verbote auskommen, sondern Lust machen, einen gesünderen Weg einzuschlagen. Neben der Verhaltensebene sind es natürlich auch die praktischen Hilfen, Rezepte, Lebensmittel- und Verbrauchertipps, die weiterhelfen.
Was würdest Du unter Fürsorge für sich selbst verstehen?
Alste Janßen: Achtsam mit sich und seinen Gefühlen umzugehen. Hinhören, wenn ein Störgefühl auftritt oder der Bauch grummelt. Liebevoll mit sich umgehen. Was so einfach daher gesagt klingt, war auch für mich ein langer steiniger Weg. Häufig sind es alte Glaubenssätze wie „ich schaffe das nicht“ oder „ich bin es nicht wert“, mit denen wir uns selbst herunterziehen. Regelmäßiges Meditieren, Sport, gute Gespräche und gesundes Essen helfen mir, meine Bedürfnisse im Auge zu behalten.
Du beschäftigst Dich seit 30 Jahren mit Ernährung – was genau motiviert Dich, dieses Thema weiterzuverfolgen?
Alste Janßen: Mich begeistert am Thema Ernährung die Vielseitigkeit, das ständig Neue und die Möglichkeiten, wie viel sich durch eine Umstellung der Ernährung erreichen lässt. In den über 30 Jahren hat sich in der Diätetik so viel getan. Früher gab es noch organbezogene Diäten wie die Leber- oder Magenschonkost. Auch die Reduktionskost war sehr dogmatisch mit rigiden Vorschriften. Heute verfügen wir über ganz andere Therapieansätze, erkennen psychologische Hintergründe und wir haben vielseitigere Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung. Ernährung bedeutet „lebenslanges Lernen“ – wie auch die klassische Homöopathie. Und das gefällt mir.
Sagt das Wie der Ernährung etwas über unsere Lebenseinstellung aus?
Alste Janßen: Ja, das sagt es. Es soll meist husch husch und schnell gehen. Essen ist zu der wichtigsten Nebensache der Welt geworden. Koch- und Ernährungssendungen füllen das Fernsehprogramm, doch in der eigenen Küche wird wenig davon umgesetzt. Der Bezug zu Lebensmitteln verliert sich in den riesigen Angeboten der Supermärkte. Es gibt 248 Joghurtmarken, von denen allein „Ehrmann“ mit 88 Produkten die Regale füllt. Wer soll sich da noch auskennen? Dabei ist Joghurt an sich ein sehr gesundes Lebensmittel. Ich meine den stichfesten Naturjoghurt, mit positiver Wirkung auf die Darmflora, den es aber leider nur noch von zwei Firmen gibt. Da landet man schnell von dem „Wie“ zu dem „Was“.
Essen ist oft mehr als Essen: wie hängen unsere Psyche und unser Essen zusammen?
Alste Janßen: Häufig haben essgestörte Menschen die gleichen Themen, egal ob unter- oder übergewichtig. Beide sind auf ihre Art mangelernährt. Geringes Selbstwertgefühl, geringe Konfliktfähigkeit oder traumatische Erlebnisse sind nur einige Gründe, wieso wir zu viel oder zu wenig Hunger empfinden. Essen und Psyche ist ein Wechselspiel zwischen Kopf und Bauch.
Einfacher ist es bei kognitiven Reizen. Wie bei dem Pawlow‘schen Reflex (Hund hört beim Fressen immer einer Glocke. Kurze Zeit später fängt er beim Läuten der Glocke auch ohne Fressen an zu sabbern) reagieren wir auf simple Reize. Esse ich beim Fernsehen Chips, habe ich im Umkehrschluss jedesmal Appetit auf Chips, wenn ich abends die Tagessschau sehe. Solche fiesen Fallen gilt es im Alltag zu erkennen und zu ändern.
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