,,Es ist mir wichtig, Türen zu öffnen“ – Kammerschauspielerin Ellen Dorn
,,Zum Glück brauche ich hier in Schleswig-Holstein noch keinen Mut, um mich mit und für Menschen aus anderen Ländern und Kulturen stark zu machen."
Name Ellen Dorn
Beruf Schauspielerin
Familie verheiratet / ein Sohn
Lieblingsorte Sonnenuntergang am Strand von Surendorf mit einem Glas Wein und Linsenbällchen aus dem Seestern
Lebensmotto Hör auf zu rudern, setz die Segel!
Welche Momente schätzen Sie am meisten?
Die Momente in Stille. Mit Sonne. Die mit meiner Familie. Und mit Sonne.
WITC: Frau Dorn, Sie sind mit dem Kulturpreis 2024 der Landeshauptstadt Kiel ausgezeichnet worden. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie und für welches Engagement fühlen Sie sich persönlich besonders wertgeschätzt durch diesen Preis?
Ellen Dorn: Der Kulturpreis bedeutet für mich eine große Wertschätzung meiner künstlerischen Tätigkeit als Schauspielerin und als Entwicklerin eigener Projekte. Vor allem freue ich mich darüber, dass die Stadt Kiel in Zeiten von zunehmendem Antisemitismus und Rassismus mit dieser Würdigung meine Auseinandersetzung und Begegnung mit dem vermeintlich „Fremden“bestätigt.
Sie engagieren sich für geflüchtete Menschen und entwickelten auch verschiedene Theaterprojekte mit ihnen. Was ist Ihnen bei diesem Engagement wichtig?
Wenn ich mit Mitgliedern der ZBBS* Theaterprojekte realisiere, wenn ich zusammen mit Dirk Schäfer Abende wie „Der Tod und ein Mädchen“ auf die Bühne bringe oder wenn ich in Israel und Palästina mit Friedensaktivist:innen auf beiden Seiten in Kontakt komme und daraus ein Stück entwickle, dann ist mir wichtig, Türen zu öffnen: diejenigen zwischen Menschen und die Türen im eigenen Kopf. Und dass ich Themen, die unter dem Radar unserer Aufmerksamkeit laufen, mit theatralen Mitteln sichtbar machen kann – wie z.B zuletzt im Schauspielhaus die Situation der Kurd:innen in Nordsyrien, zusammen mit Mitgliedern der kurdischen Kulturschule Kiel, die trotz ihrer – für uns unvorstellbaren – Erlebnisse bereit sind, ihre Geschichten mit Leidenschaft und großem theatralen Mut zu erzählen.
Brauchen wir alle etwas mehr Mut, um die Gesellschaft zu stärken? Und: Woher nehmen Sie Ihren Mut, um sich über die schauspielerische Arbeit hinaus zu engagieren?
Zum Glück brauche ich hier in Schleswig-Holstein noch keinen Mut, um mich mit und für Menschen aus anderen Ländern und Kulturen stark zu machen. Und zum Glück brauchen wir alle noch nicht besonders viel Mut, um für unsere Demokratie und die Vielfalt unseres Miteinanderlebens auf die Straße zu gehen oder uns Räume zu suchen, wo wir uns dafür engagieren können. Damit das so bleibt, gehe ich auf die Straße, setze ich mich für Menschen ein, die nicht das Glück hatten, in eine relativ freie und so reiche Gesellschaft hineingeboren zu werden. Ein bisschen Mut gehört vielleicht dazu, die eigene Schwerkraft zu überwinden, nicht bei dem „ich-würde-ja-gerne-aber..“ stehenzubleiben. Ich empfinde Mut als eine Art Muskel, der trainiert werden kann, auch mit kleinen Schritten. Und ich hoffe sehr, dass ich, sollte ich mal in die Situation kommen wirkliche Zivilcourage zeigen zu müssen, gut durchtrainiert bin…
Was kann Improvisationstheater uns für den Alltag lehren? Werden wir durch improvisieren mutiger?
Als ich zusammen mit Idun Hübner und Parinaz Mehranfar von der ZBBS anfing, Theaterstücke mit Migrant:innen zu entwickeln, konnten wir ihnen eine Möglichkeit bieten, ihre Geschichten zu erzählen, die sonst die Seele erdrücken: Die Revolution und ihre gewaltsame Niederschlagung in Syrien, die Fluchtwege aus Eritrea, die Gewalt, die Angst um ihre Kinder, Eltern, Geschwister und dann das Heimweh später hier in Deutschland – das haben sie furchtlos auf die Bühne gebracht, mit einem unglaublichen Humor und großer Zartheit und Kraft. Und dann die Reaktionen des Publikums: Menschen mit ähnlichen Fluchterfahrungen gemeinsam mit Menschen, die zum ersten Mal mit diesen Themen, Geschichten, Erlebnissen in Berührung kamen. Es wurde so viel gelacht und so viel geweint gleichzeitig. Das hat mich umgehauen, da hatte Theater eine große unmittelbare Kraft.
Erzählen Sie uns doch noch etwas über ihre aktuellste Rolle am Theater Kiel. Ist vielleicht auch hier Mut gefragt?
Linda Loman, die Frau von Willy aus „Tod eines Handlungsreisenden“ kämpft mit Langmut, Liebe und Löwenkräften um ihre Familie. Aber ob sie mutig ist? Sie, die von ihrer Kraft, ihrer Intelligenz und ihrem Scharfblick her eigentlich in der Lage wäre, das familiäre System der permanenten Lebenslüge zu durchbrechen, unterstützt und lebt diese Lebenslüge bis zum bitteren Ende, geht sehenden Auges mit in die Katastrophe, aus Mangel an Mut zur Konfrontation und deren möglichen Konsequenzen. Sehr menschlich, verständlich, tragisch.
*ZBBS: Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrantinnen e.V.
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