Perspektiv-Wechsel: ein Plädoyer für Chancengleichheit der KiTa-Kinder und den Wegfall der Elternbeiträge

18. November 2022
,,Der Unterschied zwischen den politischen Vorstellungen und den Erfahrungen der KiTa-Eltern liegt in der Perspektive." (Foto: adobe stock)

,,Mit den Fachkräften steht und fällt die Bildungsgerechtigkeit in den KiTas."

Kerstin Hinsch & Sandra Moschell sind Co-Vorsitzende der Landeseltervertretung der KiTas in Schleswig-Holstein. Im Interview plädieren sie für Chancengleichheit der Kinder, den Wegfall der Elternbeiträge, mehr KiTa-Plätze und einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel. 

Name: Kerstin Hinsch

Beruf: freiberufliche Zahnärztin

Familie: verheiratet, 1 Sohn (5 ½ Jahre)

Lebensmotto: Fragen lohnt sich immer.
Schlimmer als ein „Nein“ wird‘s nimmer!

Ich engagiere mich, weil ich nur durch
Beteiligung (positive) Veränderungen
herbeiführen kann.

Name: Sandra Moschell

Beruf: Soldatin

Familie: verheiratet, 2 Kinder (1 und 4 Jahre jung)

Lebensmotto: „Menschliche Würde + Mitgefühl = Frieden“ (aus THAT‘S WHAT I AM)

Ich engagiere mich, weil ich meine Selbstwirksamkeit für den gerechten Umgang mit Kindern und Familien einsetze.

WOMAN IN THE CITY: Was finden Sie an den Kindertagesstätten (KiTas) in Schleswig-Holstein richtig gut?

Sandra Moschell: Es ist gut, dass die KiTas mit ihren Fachkräften, Kindertagespflegepersonen, Einrichtungsleitungen, Trägern und auch KiTa-Eltern im Gesamten eine große Einigkeit darin zeigen, dass eine gute Kindertagesbetreuung kindgerechte Bildungschancen und soziale Teilhabe bedeutet, die jedes Kind erreichen muss. 

Kerstin Hinsch: Das hohe Bewusstsein für den Weiterentwicklungsbedarf innerhalb der bereits vorhandenen strukturellen Qualität ist ein guter Anfang für einen Fortschritt. 

Gibt es ein gesellschaftliches Miteinander in Bezug auf eine gute Betreuung in den KITAs?

Kerstin Hinsch: Erfolgreiche frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung hat einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft. Die Umsetzung von Kinderrechten sollte für Familien kostenfrei sein. Das gesamtgesellschaftliche Miteinander ist diesbezüglich ausbaufähig, solange akzeptiert wird, dass Bildung und Teilhabe vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. 

Worauf kann und muss ich mich als Elternteil verlassen, wenn ich mein Kind in die KiTa gebe, vorausgesetzt, ich bekomme den mir gesetzlich zugesicherten KiTa-Platz?

Sandra Moschell: Ich muss mich darauf verlassen können, dass die Kinder mit ihren Bedürfnissen als Individuum wahrgenommen werden. Es muss eine grundlegend offene Haltung zu einer guten Bildungs- und Erziehungspartnerschaft gelebt werden, denn Zufriedenheit zeigt sich oft dort, wo auch die Beziehung zwischen Fachkräften und Eltern mit gegenseitiger Akzeptanz gepflegt wird.

Kerstin Hinsch: Kindertagesbetreuung muss auch krisenfest fortgeführt werden können. Es muss ausreichend Lösungsansätze für Familien geben, die das Fortlaufen von frühkindlicher Bildung, Entwicklungsförderung und Berufstätigkeit der Eltern bedingungslos möglich macht.

Wo klafft aus Ihrer Sicht die Lücke zwischen der politischen Vorstellung und den persönlichen Erfahrungen hinsichtlich der KiTa-Betreuung?

Kerstin Hinsch: Die Lücke klafft gar nicht! Es wird vermittelt, dass nur sehr beschränkte finanzielle Ressourcen für den Ausbau einer kostenfreien, bedarfsgerechten frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung bereitgestellt werden können und das entspricht auch meiner Wahrnehmung.

Sandra Moschell: Der Unterschied zwischen den politischen Vorstellungen und den Erfahrungen der KiTa-Eltern liegt in der Perspektive. KiTa-Eltern wissen sehr gut, welchen Einfluss eine gelingende frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung auf die Entwicklung der Kinder und die Erwerbsfähigkeit der Familien hat. Vor allem wissen KiTa-Eltern aber auch um die Folgen, wenn politische Entscheidungen die Qualität oder Zuverlässigkeit von Kindertagesbetreuung einschränken. 

Gibt es KiTa-Konzepte, die aus Ihrer Sicht wesentlich mehr Zukunftspotential haben als andere?

Sandra Moschell: Oh ja, und zwar jene, die über die Elternmitwirkung weiterentwickelt wurden und der inneren Haltung aller Bildungs- und Erziehungspartner*innen entsprechen. Wichtig ist, dass sich die Interessen der Kinder, Eltern und Fachkräfte widerspiegeln.

 Jede konzeptionelle Ausrichtung ist nur so gut wie die Menschen, die sich in der Praxis daran ausrichten – eine pädagogische Konzeption sollte partizipativ wachsen und sich an aktuelle Lebenswirklichkeiten anpassen können.

Kerstin Hinsch: Jedes Kita-Konzept hat sein Für und Wider. Wichtig ist vor allem, dass allen Kindern in den Einrichtungen die Chance auf Teilhabe gleichermaßen ermöglicht werden kann.

Welche Wertschätzung bringen Sie den Erzieherinnen in den KiTas entgegen?

Sandra Moschell:  „Unsere Wertschätzung richtet sich an alle KiTa-Fachkräfte, die unsere Kinder in ihrer Entwicklung begleiten. Fachkräfte der Kindertagesbetreuung leisten einen sehr großen gesamtgesellschaftlichen Beitrag. Eine pädagogisch qualifizierte Bezugsperson, die situationsangepasst und einfühlsam mit einem Kind umgeht, beeinflusst weit mehr als ein Leben positiv. Die Wertschätzung zeigen Eltern auch in ihrem Vertrauen, ihre Lieblingsmenschen in die Fürsorge anderer Personen zu geben. Für offene Erziehungspartnerschaften sind alle Eltern sehr dankbar.

Kerstin Hinsch: Mit den Fachkräften steht und fällt die Bildungsgerechtigkeit in den KiTas. Ohne gut ausgebildete Fachkräfte ist eine bedarfsgerechte Bildung und Erziehung unserer Jüngsten nicht möglich. Sie genießen unsere höchste Wertschätzung.“ 

Welche Probleme müssen wir jetzt wirklich und schnell lösen, damit zum einen nicht nur der Anspruch auf einen KiTa-Platz erfüllt wird, sondern die KiTa zu einem Förderungs- und Wohlfühlort für die Kinder UND die Mitarbeiterinnen wird?

Sandra Moschell:  KiTas müssen zu einem Förderungsort werden, der für jedes Kind chancengleich zugänglich ist. Dies erreichen wir erst mit dem Wegfall der Elternbeiträge und Deckelung der Verpflegungskosten sowie auch durch ausreichend bedarfsgerechte KiTa-Plätze im Land. Die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft leidet unter mangelhaften Bedingungen wie einen unzureichenden Fachkraft-Kind-Schlüssel.

Kerstin Hinsch: Es bedarf vor allem einer starken Personal-Offensive, um mehr ausreichend ausgebildete und motivierte Fachkräfte in die Einrichtungen zu bekommen und sie dort zu halten. Nur so können weitere notwendige KiTa-Plätze geschaffen werden.

Sonder-Förderprogramme sind gut – jeder Euro im KiTa-System ist herzlich willkommen. Jedoch laufen diese Förderprogramme meist für einen beschränkten Zeitraum (siehe Bundesprogramm „Sprach-Kitas“). Was die Beteiligten jedoch unbedingt benötigen, ist eine Zukunfts-Perspektive.

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