Orientierung…

29. März 2019

Okay, okay, dass Frauen Landkarten schlechter lesen können als Männer, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt. Frauen merken sich markante Fixpunkte, haben aber Schwierigkeiten damit, diese in einen räumlichen Zusammenhang zu setzen. Daher kann der Großteil der Männer Wege besser finden und abspeichern, was aber noch lange nicht heißt, dass diese auf Anhieb auch sagen können, wo sich im gemeinsamen Haushalt der Staubsauger befindet …

Immer der Nase nach - Hauptsache es ist die eigene...

Doch Klischee hin, wissenschaftliche Studie her – der Orientierungssinn als solcher dient jedem einzelnen von uns als unverzichtbarer Navigator auf allen Lebensetappen und -ebenen. Ob in der sexuellen Orientierung, im beruflichen Werdegang oder in der religiösen Ausprägung, ob in Sachen Mode, Musikgeschmack oder Humor, wir suchen uns Ankerpunkte, Wegweiser, Alltagstutoren – wie Bojen im Meer, um nicht ziellos im Kreis zu schwimmen. Da wird der Vater, der beim Abendbrot die Tagesschau analysiert, zum Vorbild für die politische Einstellung, da wird notfalls Brigitte Nielsen zum Vorbild für die hinausgezögerte Familienplanung und da wird der Nachbar, der morgens immer so gut gelaunt in seinen SUV hüpft, zum Ideengeber, eine Karriere bei der Sparkasse anzustreben. Doch das heißt nicht, dass wir allesamt fremdgesteuerte Wesen sind. Was in uns keimt, will nur manches Mal erst geweckt werden.

Was bin ich

Zu Panik, Verzweiflung, depressiven Zuständen und kontraproduktiver Antriebslosigkeit neigt man vor allem dann, wenn Etappenziele erreicht sind. Wer findet sich hier wieder: Das Abitur ist bestanden, aber statt Feierlaune stellt sich unerwartete Schwermut ein. Wie geht es weiter? Wo werde ich landen? Trete ich jetzt für immer auf der Stelle? Quälende Fragen, deren Antworten in der Regel durch neue Orientierungspunkte geliefert werden. So lassen sich die Sommersemesterferien womöglich besser genießen, wenn man nicht gerade mit dem Gedanken schwanger geht, das Studienfach zu wechseln. Viele Hochschulen haben mittlerweile erkannt, dass der Pfad einer beruflichen Orientierung etwas breiter getreten werden kann und sollte. Um die sogenannten Schlüsselqualifikationen für den beruflichen Erfolg zu schulen, werden ergänzend zum eigentlichen Studienfach und zur allgemeinen Berufsberatung Kurse angeboten, die in den Bereichen Management-, Organisations- oder Sozialkompetenz nachjustieren. Ein geebneter Weg ins Berufsleben führt nämlich um manche unfreiwillige Neuorientierung herum.

"Die passenden Orientierungspunkte werden wir früher oder später finden - oder sie uns. Denn wir brauchen sie, um den eingeschlagenen Lebensweg als den richtigen zu akzeptieren."

Wer bin ich

Im Zeitalter von männlich/weiblich/divers, wo Toleranz und Entscheidungsfreiheit ihren Weg von Plakaten und Transparenten in die Gesetzbücher gefunden haben, stellt sich die Frage nach dem eigenen Ich selbstbewusster – und ist doch nach wie vor nicht immer leicht zu beantworten. Woher weiß ich, ob ich hetero-, homo- oder bisexuell bin? Nach dem heutigen Stand der Forschung entwickelt sich das individuelle Gefühl der Anziehung zwischen der Kindheit und der einsetzenden Pubertät. Auch ohne erste sexuelle Erfahrungen formt sich hier die sexuelle Identität, indem bestimmte Muster für emotionale oder romantische Attraktion angelegt werden. Schema F gibt es in der sexuellen Selbstfindung allerdings nicht. Manche erkennen ihre wahre Orientierung lange vor dem ersten Verliebtsein, geschweige denn vor der ersten Beziehung. Andere leben sogar lange in einer Beziehung, bevor sie ihrer eigentlichen Bestimmung gewahr werden. Weil man sich womöglich zuvor an überholten Vorurteilen und Diskriminierung orientiert hatte? Unlängst berichtete die Presse über David Matheson, einen der bekanntesten „Homoheiler“ der USA, der seine Frau verlassen hat, um mit einem Mann zusammenzuleben.

Wo will ich hin

Bei Frage der Familiengründung hadert gerade das weibliche Geschlecht allzu oft mit der Unentschlossenheit. Man hat sich einen Karriereweg erkämpft, möchte sein Potenzial entfalten. Wer nun den Kinderwunsch nicht von Beginn an spürt, ist nicht zwangsläufig KEIN Familientyp – es sind nur eben auch andere Faktoren wichtig. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt für was? Ab wann ist es zu spät für solch grundlegende Entscheidungen? Schweigt die innere Stimme, können Weggefährten als Orientierungshilfe dienen. Die heimliche Erleichterung, wenn die Freundin mit ihren dreijährigen müde-gnaddeligen Zwillingen wieder nach Hause fährt, fällt mit Abstand betrachtet allerdings weniger ins Gewicht als der kleine Stich in der Magengegend, wenn man ein Kinderlachen aus einem vorbeigeschobenen Buggy hört.
Die passenden Orientierungspunkte werden wir früher oder später finden – oder sie uns. Denn wir brauchen sie, um den eingeschlagenen Lebensweg als den richtigen zu akzeptieren.

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