Politische Haltungen: Nach der Wahl ist vor der Wahl!

„Wir brauchen tatsächlich eine institutionelle Erneuerung der Demokratie!.“
Prof. Dr. Paula Diehl ist Politikwissenschaftlerin an der CAU in Kiel. Wir wollten wissen, was eine moderne Demokratie ausmacht und wie wir nach der Wahl mit unseren Enttäuschungen umgehen sollten.
WOMAN IN THE CITY: Was passiert nach einer Wahl mit uns, wenn eine politische Konstellation entsteht, die wir gar nicht erwartet haben?
Prof. Dr. Paula Diehl: In der modernen Demokratie wählt das Volk die Regierenden und hofft, dadurch Einfluss auf das politische Geschehen auszuüben. Das Enttäuschungspotenzial ist dabei groß, da man selbst nur eine Entscheidung treffen kann, nämlich, wer soll mich repräsentieren. Wie Politik ausgeübt wird, bleibt Sache der Regierenden. Der Historiker Pierre Rosanvallon hat Recht, wenn er sagt, dass Enttäuschung dadurch vorprogrammiert ist. Anderseits haben die Bürger*innen auch die Möglichkeit, durch Proteste und Bürgerbewegungen, Druck auf die Regierung auszuüben. In manchen Orten gibt es sogar partizipative Verfahren, bei denen man direkt mitentscheiden kann.
WITC: Ebbt nach der Wahl Populismus ab? Gibt es eine Denkpause?
Prof. Dr. Paula Diehl: Populismus begleitet die moderne Demokratie, denn er entsteht in der Lücke zwischen dem Anspruch der Bürger*innen, auf die Politik Einfluss auszuüben, und der Enttäuschung darüber, dies nicht vollständig zu können. Im Wahlkampf machen die Kandidat*innen auf die Enttäuschung aufmerksam, machen Versprechen und werden dabei selbst etwas populistischer. Das lässt nach der Wahl nach. Doch Populismus wächst auch mit der Krise der politischen Repräsentation, die seit Jahrzehnten zunimmt. Daher kann man davon ausgehen, dass Populismus weltweit nicht verschwinden wird. Allerdings gibt es unterschiedliche Varianten des Populismus, und wir beobachten gerade das Erstarken des Rechtspopulismus, der demokratiefeindlich ist. Das ist ein großes Problem.
WITC: Vor der Bundestagswahl 2021 waren wir ggf. euphorisiert und viele Menschen sind mit der Hoffnung auf ganz unterschiedliche Veränderungen im Land zur Wahl gegangen. werden wir, egal wie, enttäuscht werden?
Prof. Dr. Paula Diehl: Ich konnte bisher keine Euphorie wahrnehmen. Wenn wir bei 24% Nicht-Wähler*innen liegen, liegt es vor allem daran, dass unsere Gesellschaft zunehmend polarisiert ist. Ein Revitalisierungsschub wäre aber sehr wichtig, um Probleme wie Klimawandel, globale Migration und Ungleichheiten anzugehen. Und diese Themen werden von den Bürger*innen an erster Stelle bei Umfragen genannt.
WITC: Was können sie als Politikwissenschaftlerin jungen Menschen mit auf den Weg geben, die sich mit ihren Bedürfnissen letztlich nicht wirklich in der politischen Landschaft aufgehoben fühlen? Ist Demokratie das Modell aller Modelle?
Prof. Dr. Paula Diehl: Wir brauchen tatsächlich eine institutionelle Erneuerung der Demokratie mit mehr partizipativen Institutionen, mehr Kontrolle durch die Bürger*innen und neue Prioritätsdefinitionen. Als Bürger*innen kann man sich engagieren etwa in der Parteiarbeit, NGOs, Nachbarschaftsorganisationen oder Bürgerinitiativen, und natürlich auch im Protest.
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