Im Gespräch mit der Ökonomin Dr. Irene Schöne: Geld hat für die Natur keinen Wert

Die Kielerin Dr. Irene Schöne kritisiert seit Jahren die an Universitäten gelehrte neoklassische Ökonomik. Worum geht es?
Wo bleibt der Profit für Natur, wenn wir Gewinne allein am Faktor Kapital festmachen?, fragt Dr. Irene Schöne aus Kiel.
AUTORIN: DANIELA METT
Ihre berufliche Vita versetzt ins Staunen. Seit Jahrzehnten engagiert sich Dr. Irene Schöne in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft für eine Modernisierung der Wirtschaftstheorie. Während Naturwissenschaftler auf Basis von Fakten stetig neue Erkenntnisse hervor brächten, pflege die Wirtschaftswissenschaft längst überholte Annahmen, kritisiert die in Kiel lebende Ökonomin. Deren Theorie gehe von einer unerschöpflichen, statischen, ewig zur Verfügung stehenden Natur aus. Mit Krisen rechne diese nicht – ein Mangel an Respekt, über den wir mit Dr. Irene Schöne bei einem Becher Tee sprechen wollen.

Name: Dr. rer. pol. Irene Schöne
Beruf: Ökologische Ökonomin
Wohnort: Kiel
Ihr letztes Buch: „Fair Economics = Nature, Money And People Beyond Neoclassical Thinking“; Green Books, Cambridge/UK 2015.
Im Netz: Vortrag vom 13.1.2022 an der CAU unter https://www.faktoderfake.org
NATUR WIRD UMWELT
Aufgeschlagen liegt vor uns auf dem Tisch die „Evolution“, ein opulent bebilderter Band zur Erdgeschichte. Wir blättern darin: Über 4 Milliarden Jahre spielte sich alles Leben im Wasser ab. Im „Devon“ erhielten Geschöpfe des Meeres Gliedmaßen. Vor 370 Millionen Jahren gingen sie damit an Land. Bis zuletzt waren an der Evolution diverse Kräfte beteiligt. Aber durch die Art, wie wir wirtschaften, profitiert bloß eine Spezies. Für Geologen ist es das Anthropozän: Das Zeitalter, in dem der Mensch alle Prozesse des Planeten beeinflusst. Natur wurde zum Objekt, das den Menschen umgibt. Zu ihrem Schutz markierte er Reservate.
ARBEIT IST DREIFACH GESPALTEN
In ihren Büchern und zahlreichen Vorträgen kritisiert Dr. Irene Schöne seit rund vierzig Jahren die an Universitäten gelehrte neoklassische Ökonomik. Als Begründer gilt der Schotte Adam Smith. Er lebte in einer feudalen Gesellschaft. Boden war Eigentum der Krone. Dieser ging als Leihgabe an Adelige. Zwar löste der Kapitalismus den Feudalismus ab, Adams Theorie der Ökonomik aber blieb Mainstream, rügt die Ökonomin: „Mir geht es um Modernisierung dieser über 200 Jahre alten Theorie, die von vielen für ewig gültig gehalten wird – was unhistorisch ist. Außerdem begründet sie Wirtschaften allein aus der Sicht des selbständig Tätigen. Arbeit ist darin dreifach gespalten: In die selbständige Tätigkeit, die sich am Jahresende als finanzieller Profit ergibt; in die abhängige Beschäftigung, die jeden Monat entlohnt wird; und in die selbständige, getauschte, aber unbezahlte Tätigkeit, die für Frauen typisch ist. Und weil diese zwar getauscht, aber nicht bezahlt wird, spielt sie gesellschaftlich keine Rolle. Infolgedessen schätzen wir auch nicht das, was wir selbst tun, sondern nur das, was wir kaufen können. Die Frage, warum wir das einfach so hinnehmen, treibt mich als Wissenschaftlerin um.“
PROFIT FÜR DIE NATUR
Zwischen 1988 und 2004 arbeitete Dr. Irene Schöne als wissenschaftliche Referentin für Wirtschaft und Finanzen. Auf ihre Initiative stimmte der Schleswig-Holsteinische Landtag 1991 über eine Reform des Bruttoinlandsproduktes ab. Dieser Antrag der SPD ging zwar einstimmig durch das Parlament, wurde aber nie praktiziert. „Kosten für Reparaturen an Umweltschäden weist das BIP als positives Wachstum aus“, erklärt sie, „Dabei geht es doch nur um Wiederherstellung eines Zustandes.“ 1998 wurde Dr. Irene Schöne in den Aufsichtsrat der UmweltBank AG berufen. In dieser Funktion blieb sie bis 2015. Dort führte sie die „Integrierte Berichterstattung“ ein. So listet deren Geschäftsbericht neben Finanzkennzahlen die Einsparung von CO2 in Tonnen. Auch das von ihr mitgegründete IÖW Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin schloss sich dieser Praxis an. „Wo bleibt der Profit für Natur, wenn wir Gewinne allein am Faktor Kapital festmachen?“, fragt Dr. Irene Schöne, „Geld hat für Natur keinen Wert.“ Auf historischem Tauschweg, Ware gegen Ware gegen Münze gegen Digitales, verlor Geld seinen Gebrauchswert: „Kapital wurde vom Mittel zum Ziel und Kult des Wirtschaftens gemacht – eine glatte Vertauschung.“
STOFF-WECHSEL-PROZESS
Hans im Glück steht am Schluss mit leeren Händen da und fühlt sich befreit. Die meisten von uns empfinden anders. Das System verteile nicht um, sondern verstärke Ungleichheit, bekräftigt die Ökonomin. Das wäre übrigens nie im Sinne seines Erfinders Adam Smith gewesen. Der hätte den Wohlstand der Nationen im Blick gehabt, ergänzt sie. Doch mit Übergabe politischer und ökonomischer Macht an die Produzenten wurde Natur zum Tummelplatz von Kapitalverwertung. „Atme ein. Atme aus“, fordert Dr. Irene Schöne auf, „Was ist das anderes als ein Stoff-Wechsel-Prozess? Du bist Teil der Natur, brauchst deine Mitwelt zum Leben wie diese Luft zum Atmen. Mittels ökologischer Ökonomik respektieren wir die uns äußere Natur wie alle Menschen als Subjekte des Wirtschaftens. Damit zollen wir der Selbstorganisation und dynamischen Eigenentwicklung von Natur Respekt, also dem Evolutionsprozess – auch weil wir selbst natürliche Lebewesen sind“.
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