,,Tänzerinnen fühlen sich besser, wenn sie nicht alleine sind.“ Julia Savchenko fühlt das Miteinander beim Tanzen.

14. September 2022
Julia Savchenko floh aus der Ukraine vor dem Krieg und tanzt zur Zeit im Ballett Kiel. Foto: Olaf Struck

,,Früher erfüllte uns das Wort ,Heimat' mit Liebe. Jetzt ist es eine klaffende Wunde."

Die Tänzerin Julia Savchenko wurde 1993 in Kiew geboren. Sie flüchtete vor dem Krieg in ihrem Heimatland nach Kiel. Hier tanzt sie im Kieler Ballett. Miteinander bedeutet für sie gleichzeitig Halt zu finden.

WOMAN IN THE CITY: Was bedeutet das Tanzen für dich?

Julia Savchenko: Für mich ist das Tanzen der Weg, Gefühle auf visuelle Art und Weise auszudrücken. Mit dem Tanz können wir sogar Dinge ausdrücken, die man mit Worten nicht beschreiben kann. Da wir Emotionen in unserem Körper spüren, ist das Tanzen das beste Mittel, um sie auch herauszulassen. Wenn Menschen sich freuen, beginnen sie miteinander zu tanzen – das ist das perfekte Beispiel, mit dem jede*r etwas anfangen kann. Mit jemand anderem zu tanzen führt dazu, dass Energie zwischen den Menschen ausgetauscht wird. Auf der Bühne erhöht gemeinsames Tanzen die Komplexität einer Geschichte und des emotionalen Spektrums. Tänzer*innen fühlen sich immer besser, wenn sie nicht allein sind.

Der Krieg in der Ukraine hat dich zur Flucht nach Deutschland gezwungen. Ist Tanzen eine Sprache, mit der du dich verständigen kannst?

Julia Savchenko: Für jede*n Ukrainer*in hat sich die Welt komplett auf den Kopf gestellt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es im 21. Jahrhundert möglich ist, Angst vor einem Krieg haben zu müssen. Als die russischen Streitkräfte begannen, mein Land zu zerstören, habe ich verstanden, dass die Welt anders ist, als ich sie mir vorgestellt habe. Auch jetzt ist es immer noch absurd für mich, dass wir für die Existenz unseres Landes kämpfen müssen. Ich bin froh, dass mir der Tanz meine Richtung gewiesen hat und hier in Deutschland fühle ich mich sicher – und ich kann das tun, was ich liebe. Das Tanzen kann etwas sein, mit dem wir die Geschichte dokumentieren können: Diese Choreografie ist ein sehr starkes Kommunikationsmittel.

Ich dachte, ich müsste meine Gefühle unterdrücken, als der Krieg begann. Aber diese wunderbaren und liebenswerten Menschen haben mich zurück ins Leben geholt und ich werde für immer dankbar dafür sein.

Wie empfindest du das „Miteinander“ in Kiel?

Julia Savchenko: Ich bin sehr glücklich und dankbar, ein Teil des Balletts Kiel zu sein. Es ist ein wunderbares Theater mit sehr talentierten, klugen und netten Menschen. Es ist schwer an einem neuen
Ort zu arbeiten, wenn in deinem Kopf ein Horrorfilm abläuft. Aber ich habe von Yaroslav Ivanenko, Heather Jurgensen, den Tänzer*innen und allen anderen am Theater so viel Unterstützung bekommen. Ich dachte, ich müsste meine Gefühle unterdrücken, als der Krieg begann, aber diese wunderbaren und liebenswerten Menschen haben mich zurück ins Leben geholt und ich werde für immer dankbar dafür sein!

Die Heimat zu verlassen, ist ein sehr schwerer Schritt. Kann Kiel eine neue Heimat für dich werden?

Julia Savchenko:Ich muss sagen, dass das Wort „Heimat“ eine völlig neue Bedeutung für alle Ukrainer*inner hat. Früher erfüllte uns das Wort mit Freude und Liebe aber jetzt ist es eine klaffende Wunde in unseren Herzen. Auch wenn der Krieg genau jetzt zu Ende wäre, würde der Schmerz, den Russland über jede ukrainische Familie gebracht hat eine schmerzvolle Wunde hinterlassen. Diese Heimat wird nie wieder die sein, die wir kannten. Aber ich hoffe wirklich, dass die Ukraine aufblühen wird wie nie zuvor, sobald der Krieg vorüber ist. Kiel ist aktuell der Ort, an dem ich glücklich bin. Jeden Tag gehe ich am Waser entlang zum Theater. Ich habe gelernt, wie ich in meinen Lieblingscafés die Möwen verscheuchen kann. Und ich bin schon sehr gespannt auf unsere neue Ballettproduktion am Theater! Ich weiß nicht, ob Kiel meine neue Heimat werden kann, aber es ist schon jetzt ein ganz besonderer Ort in meinem Herzen!

Julia Savchenko tanzt in „Cinderella“ und in der Ballettszene
von „Aida“ am Kieler Theater. Außerdem ist sie in allen
Neuproduktionen und Wiederaufnahmen zu sehen.
www.theater-kiel.de

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