Angst vor Krieg & Corona. Was macht das mit uns? Nachgefragt bei: Prof. Dr. Julian Keil von der Uni Kiel

5. Juli 2022
Doppelbelastung: Corona und der Ukraine-Krieg – wie reagiert unsere Psyche? Foto: Adobe Stock

"Angst ist erstmal eine ganz normale Reaktion."

NACHGEFRAGT BEI: Prof. Dr. Julian Keil von der Uni Kiel (Biologische Psychologie)

Wir haben viel durchgemacht in den letzten zwei Jahren der Pandemie. Seit Februar hören wir zudem täglich Nachrichten vom Krieg in der Ukraine. Was macht das mit uns?

Prof. Dr. Julian Keil: Natürlich ist das eine Doppelbelastung. Wir kennen das ja auch im Kleinen, dass wir alle nicht sehr gut darin sind, alles gleichzeitig zu machen. Wir haben nur ganz bestimmte Kapazitäten, um einige Dinge gleichzeitig zu tun und zu verarbeiten. Das kann man sich wie einen Eimer voller Fähigkeiten vorstellen: Je mehr wir daraus entnehmen, um so leerer wird der Eimer und wir werden stärker überfordert.

In den letzten Jahren konnten wir tatsächlich das Aufsummieren von Krisen beobachten, von sehr spezifischen und indivduellen bis hinzu globalen Problemen. Bei Corona sorgen wir uns um die eigene Gesundheit, um die Gesundheit der Umgebung und hinzu kommen persönliche Belastungen, wie zum Beispiel die Herausforderung der Kinderbetreuung in Zeiten der Pandemie oder die Sorge darum, wie es in der Firma oder im eigenen Betrieb weiter läuft. Es ist also nicht nur im Alltag belastend, sondern wir mussten und müssen uns insgesamt auf neue Situationen einstellen – zum Beispiel das Tragen einer Maske beim Einkaufen und wiederum Situationen, in denen andere vielleicht keine Maske tragen; wie belastend ist das alles für den Einzelnen? Und dann kommt jetzt noch der Krieg in der Ukraine dazu.

Können wir uns an alle diese Gegebenheiten gewöhnen?

Prof. Dr. Julian Keil: Wir kennen das aus der Forschung zu Glück und Unglück. Sowohl positive, als auch negative Ereignisse normalisieren sich über die Zeit. Ein Beispiel: Wenn man im Lotto gewinnt, gewöhnt man sich irgendwann an den neuen Reichtum und dann ist dieser eben normal. Genauso ist es, wenn der Mensch etwas Schlimmes erlebt, dann reguliert sich das im normalen Bereich wieder (Traumatische Erlebnisse sind in der Regel behandlungsbedürftig). Allerdings erleben wir gerade bei Corona, dass hier immer wieder etwas Neues hinzukommt, mit dem wir wieder klar kommen müssen: neue Varianten, eine 4. Impfung, die Sommerwelle, die Angst vor dem Winter – es bleibt damit einfach präsent.

Wenn wir uns vielleicht nicht ganz daran gewöhnen, stumpfen wir dann vielleicht einfach ab gegenüber neuen Entwicklungen?

Prof. Dr. Julian Keil: Wir haben nur eine begrenzte Verarbeitungskapazität. Dadurch schenken wir bestimmten Ereignissen irgendwann keine Aufmerksamkeit mehr. Nach Corona kam der Krieg in der Ukraine hinzu. Der beschäftigt uns allerdings eigentlich nicht im Alltag – denn hier bei uns ist ja kein Krieg – wir merken jedoch die sekundären Auswirkungen wie Preisanstieg etc. Hinzu kommt auch noch die präsente Klimakrise, beispielsweise mit Hitzewellen. Und dann kommen wir irgendwann an einen Punkt, an dem wir nicht mehr alles beachten können. Irgendwann blenden wir dann Dinge und Ereignisse aus, die nicht mehr ganz so akut sind.

Der Krieg ist durch die Medien 24/7 präsent für uns …

Prof. Dr. Julian Keil: Zwar gibt es überall auf der Welt Krieg, aber der Ukraine-Krieg ist für uns besonders präsent. Wenn wir die Bilder der Flüchtenden sehen und von zerstörten Städten in der Ukraine, dann sehen wir auch Menschen, die uns sehr, sehr ähnlich sind: die Menschen sind wie wir gekleidet, fahren Autos, die wir fahren und haben wie wir einen relativ hohen Entwicklungsstandard. Durch diese gefühlte Nähe wird ein starkes gruppenbezogenes Vorurteil aktiviert. Dieser Stereotyp erzeugt bei uns eine gefühlte Nähe. So rückt dieser Krieg viel stärker in unser Bewusstsein, als ein Krieg in anderen Ländern und Kulturkreisen, die uns eher fremd sind oder auch Landschaften, die uns fremd ist.

Wie ist die Angst, die uns überkommt, einzuschätzen?

Prof. Dr. Julian Keil: Angst ist erstmal eine ganz normale Reaktion. Man muss sich seiner Angst nicht schämen und man muss sie auch nicht verstecken. Da gilt immer der Grundsatz: Höre auf deinen Körper und nimm deine Empfindungen ernst. Wenn ich Bilder aus dem Krieg sehe und merke, da reagiere ich mit einer Erregung, ich habe z.B. Herzklopfen oder Beklemmungsgefühle, sollte ich vielleicht überlegen, wo diese herkommen können. Dann kann ich auch Handlungsstrategien entwickeln, wie ich mit der Angst umgehe.
Ich muss auf der anderen Seite aber eben überlegen, wie realistisch ist es, dass wir hier in Westeuropa in den Krieg hineingezogen werden. Wenn ich mir das klar mache, dass wir grundsätzlich in einem stabilen Land leben und Teil eines starken militärischen Bündnisses sind, dann gibt es erstmal keine realistische Sichtweise, in der ich jetzt in Panik verfallen müsste.
Die andere Seite ist natürlich, wenn mich diese Bilder belasten, dann schalte ich den Fernseher einfach aus oder schalte das Handy ab. Das wäre eine sinnvolle Reaktion. Wenn ich merke, die Informationen tun mir nicht gut, will ich sie auch nicht sehen.

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